Meldungen aus dem Bezirksverband Düsseldorf
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"Geschichte einer besonderen Beziehung"

Autorengespräch mit Stefan Creuzberger über "das deutsch-russische Jahrhundert"

Stefan Creuzberger (lks.) im Gespräch mit Sabine Grabowski Foto: Volksbund NRW

Düsseldorf. „Wie konnte es so weit kommen?“, „Haben wir denn nichts gelernt aus unserer Geschichte?“ oder „Was können wir aus unserer Geschichte zur Beendigung dieses Krieges lernen?“ Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bewegt viele Menschen, natürlich auch die Mitglieder und Unterstützer des Volksbundes. So liegt es nahe, hierzu Experten der Geschichte zu befragen. Die Gelegenheit hierzu bot sich am 23. Mai 2022. In der Düsseldorfer Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus stellte der Russland-Experte und Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Rostock, Prof. Dr. Stefan Creuzberger, sein neues Buch „Das deutsch-russische Jahrhundert. Geschichte einer besonderen Beziehung“ vor.

Das Werk steht bereits auf diversen Bestseller-Listen und ist für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert. Rund 50 interessierte Gäste haben sich im Gerhart-Hauptmann-Haus eingefunden, darunter zum großen Teil Mitglieder des Volksbundes. Auf „Gerharts Sofa“ führen die Historikerin Dr. Sabine Grabowski, Mitarbeiterin des Gerhart-Hauptmann-Hauses, und Prof. Stefan Creuzberger so souverän wie kurzweilig durch ein „langes Jahrhundert“ deutsch-russischer Beziehungen.

Zu dem Buch motiviert habe Creuzberger die Annexion der Krim im Jahre 2014. Wie umgehen mit Russland? Die hierüber in Deutschland zwischen so genannten „Putin-Verstehern“ und „kalten Kriegern“ geführte Debatte zu versachlichen, sei sein Hauptanliegen. Denn die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen sei sehr viel komplexer als es das „Freund-Feind-Schema“ wiedergeben könnte. Creuzberger findet hierfür stattdessen Begriffspaare, die das gesamte Buch strukturieren: „Revolution und Umbruch“, „Terror und Gewalt“, „Annäherung und Abgrenzung“.

Im Gespräch arbeiten sich Creuzberger und Grabowski chronologisch durch das 20. Jahrhundert vor – vom Ersten Weltkrieg und den Revolutionen über die Zwischenkriegszeit, den Zweiten Weltkrieg und den „Kalten Krieg“ bis zum Fall des „Eisernen Vorhangs“, zum Zerfall der Sowjetunion und zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Keine anderen Europäer hätten Creuzberger zufolge eine derart intensive „Beziehungsgeschichte“ gehabt, mit Auswirkungen auf die europäische und die Weltpolitik - und leider nicht immer zu Gunsten anderer europäischer Völker.

Immer wieder habe es neben den mit großer Brutalität geführten Kriegen auch Phasen der Annäherung und Verständigung gegeben. So ab 1922 mit dem Vertrag von Rapallo, in dem die beiden „Parias“ Deutschland und Sowjetunion ihre Zusammenarbeit vereinbarten. Nur zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges habe Bundeskanzler Adenauer diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen. Die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung habe hieran anknüpfen können. Auch die folgende christlich-liberale Bundesregierung habe hieran festgehalten. Die guten deutsch-russischen Beziehungen in dieser Zeit, personifiziert durch Helmut Kohl und Michail Gorbatschow, hätten wesentlich zur internationalen Zustimmung zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung beigetragen. Auch danach habe die christlich-liberale Bundesregierung Verständnis für innenpolitische Verwerfungen in Russland gezeigt. Denn schließlich habe auch Deutschland mit negativen Folgen des Transformationsprozesses zu kämpfen gehabt.

"Welche Fehler hat es in den vergangenen drei Jahrzehnten gegeben?", fragt Sabine Grabowski. Creuzberger nennt hier die „Euphorie der 90er Jahre“, als der Westen an das „Ende der Geschichte“ geglaubt und der politischen Entwicklung in der Russischen Föderation, der mangelnden Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Er nennt die Fehleinschätzung Wladimir Putins durch deutsche Politiker in Bezug auf dessen Ziel der Rekonstruktion der Sowjetunion. Der „Geist der neuen Ost-Politik“ scheitere „einzig und allein an Putin“. Warnende Stimmen, die es auch in der SPD gegeben habe – Creuzberger nennt hier den früheren Außenminister Heiko Maass – seien allerdings nicht durchgedrungen.

Wie geht es nun weiter?  Wehrhafte und entschlossene Verteidigung der Demokratie, klare Definition der deutschen außenpolitischen Interessen unter Berücksichtigung der europäischen Nachbarstaaten, militärische Unterstützung der Ukraine – so lassen sich die Empfehlungen Creuzbergers in aller Knappheit zusammenfassen. Die Annexion der Krim  durch Russland dürfe keinesfalls anerkannt werden. Die USA hätten die Annexion der baltischen Staaten durch die Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges ebenfalls nie anerkannt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion konnten die baltischen Staaten hieraus ihre Souveränität ableiten. Darüber hinaus erkennt Creuzberger Grenzen der Globalisierung: Bereits Corona und nun auch der Krieg in der Ukraine zeigten, wie anfällig das Netz der weltweiten Lieferketten und wie fragil die Weltwirtschaft sei.

Im Anschluss an das Autorengespräch diskutierten die Gäste noch eine Stunde lang engagiert mit dem Historiker. Dies zeigt, wie sehr dieser Krieg die Mitglieder und Unterstützer des Volksbundes beschäftigt. Wir danken der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf und Prof. Creuzberger für einen kurzweiligen und erkenntnisreichen Abend.

Text: Stefan Schmidt, Bilder: Astrid Wolters